Trotz aller Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie gehen die Handelsdeals hinter verschlossenen Türen weiter. Da der Widerstand gegen das klima-ruinöse Mercosur-Abkommen groß ist, bastelt die EU-Kommission gerade an einem Plan zur Ausschaltung der Oppositon. Die Klage von RWE gegen die Niederlande bringt den Energiecharta-Vertrag mal wieder in die Schlagzeilen. Auch beim Brexit-Vertrag läuft einiges hier verschlossenen Türen ab. Beim EU-China-Investitionsabkommen pfeifen die maßgeblichen PolitikerInnen auf Menschen- und ArbeiterInnenrechte. Und das geplante Lieferkettengesetz? Es schont mal wieder die Wirtschaft. Das zeigt ein Überblick des Netzwerks Gerechter Welthandel.
EU-Mercosur-Abkommen
Auch wenn es derzeit ruhig geworden scheint um das EU-Mercosur-Abkommen: Der Schein trügt. Intransparent und fernab der Öffentlichkeit beraten Vertreter*innen von EU-Kommission und Mercosur-Staaten über die Zukunft des Abkommens – und bemühen sich um eine schnelle Ratifizierung. Mit Hilfe einer Zusatzerklärung soll die massive Kritik an Abholzungen und Klimazerstörung entkräftet werden, die von der Zivilgesellschaft, dem EU-Parlament sowie mehreren EU-Staaten geäußert wurde.
Ob dieser Plan aufgeht, ist fraglich. Denn bereits am EU-Kanada-Abkommen CETA hat sich gezeigt, dass Zusatzerklärungen bei weitem nicht ausreichen, um aus einem schlechten Deal ein gerechtes und zukunftsweisendes Abkommen zu machen, das den großen Herausforderungen des 21. Jahrhundert gerecht wird.
Doch die EU-Kommission hat bereits Plan B in der Schublade: Sollten Staaten wie Österreich und Frankreich bei ihrer Ablehnung bleiben, könnte sie eine Zweiteilung des Abkommens vorschlagen und zunächst nur den – am stärksten kritisierten – Handelsteil des Abkommens zur Abstimmung stellen. Dieser müsste vom EU-Rat dann nicht wie das übergeordnete Assoziierungsabkommen einstimmig angenommen werden, stattdessen könnten die kritischen Staaten durch eine qualifizierte Mehrheit überstimmt werden. Dies wäre auch im Sinne Portugals, das während seiner Ratspräsidentschaft bis Ende Juni eine Ratifizierung des Abkommens anstrebt.
Im Sinne der Bevölkerung ist dies alles nicht: Drei Viertel der Bevölkerung in zwölf EU-Staaten ist gegen die Ratifizierung des Abkommens, solange Abholzung im Amazonasgebiet stattfindet. Dies ergab eine Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag der Rainforest Foundation Norway kürzlich veröffentlichte. In Deutschland ist der Anteil derjenigen, die das Abkommen strikt ablehnen, mit 49 Prozent besonders hoch.
Energiecharta-Vertrag: Kritische Stimmen mehren sich
Auf Basis des Energiecharta-Vertrags (ECT) ist eine weitere Klimaklage erhoben worden:RWE verklagt die Niederlande auf 1,4 Milliarden Euro Schadensersatz, weil das Land einen Kohleausstieg bis 2030 beschlossen hat. Der Fall schlägt hohe Wellen in den Niederlanden, ein RWE-Vertreter musste bereits letzte Woche vor dem Parlament Rede und Antwort stehen. Ein Antrag im niederländische Parlament, aus dem Energiecharta-Vertrag auszusteigen, scheiterte nur an wenigen Stimmen.
Währenddessen mehren sich die Stimmen, die einen baldigen Ausstieg aus dem ECT fordern, damit Europa seine Klimaziele nicht gefährdet. Inzwischen haben die spanische und französische Regierung Briefe an die Europäische Kommission geschickt, in denen sie eine baldigen Ausstieg aus dem Vertrag fordern, sofern bis Jahresende keine entscheidenden Fortschritte bei den Modernisierungsverhandlungen erzielt werden. Die Bundesregierung vermeidet hingegen weiterhin eine Positionierung.
In Deutschland wird sich die Zivilgesellschaft verstärkt in Debatte um den Energiecharta-Vertrag einbringen und gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten eine europaweite Petition für einen Ausstieg aus dem Vertrag starten. Mehr Informationen gibt es im nächsten Newsletter sowie in Kürze auf den Seiten des Netzwerks Gerechter Welthandel.
Eine Zusammenfassung der Hintergründe zum „Anti-Klimaschutzvertrag“, und warum Deutschland und die EU aussteigen sollten, gibt es außerdem beim Umweltinstitut München.
Brexit-Deal: Unzureichende demokratische Kontrolle
Seit Ende letzten Jahres steht der Brexit-Deal, das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Der Vertrag wird bereits vorläufig angewendet, das Europäische Parlament wird ihn möglicherweise schon Ende Februar vollständig ratifizieren – ein straffer Zeitplan für das umfassende Partnerschaftsabkommen!
Zu straff, findet Lobbycontrol und weist in einer kritischen Stellungnahme auf problematische Inhalte des Abkommens hin: Bereits während der Verhandlungen war die demokratische Kontrolle unzureichend, dasselbe gilt für den jetzt laufenden Ratifizierungsprozess. Zudem kann das Abkommen auch nach der vollständigen Ratifizierung durch neue, einflussreiche Gremien verändert werden. Unter anderem ist ein Sonderausschuss für Regulierungsfragen vorgesehen, der Zusammenarbeit bei Regulierungen anstößt und jederzeit Lobbyist*innen zu seinen Sitzungen einladen kann. Demokratische und transparente Handelspolitik sieht anders aus! Den ausführlichen Beitrag gibt es auf den Seiten von Lobbycontrol.
Greenpeace hat in einer Stellungnahme an den EU-Ausschuss des Deutschen Bundestages beleuchtet, welche Rolle dem Klimaschutz im Brexit-Deal zukommt. Zum ersten Mal in einem Handels- bzw. Assoziierungsabkommen der EU wird die Bekämpfung des Klimawandels als wesentlicher Bestandteil („essential element“) benannt und ergänzt damit die bisherigen wesentlichen Bestandteile wie demokratische Grundsätze, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Der Klimaschutz erhält dadurch – zumindest theoretisch – einen starken Durchsetzungsmechanismus: Kommt eine Vertragspartei in schwerwiegender und substanzieller Weise den Verpflichtungen nicht nach, kann die andere Vertragspartei das Abkommen ganz oder teilweise beenden oder aussetzen. Ob die EU oder Großbritannien diesen Durchsetzungsmechanismus für Klimaschutz jedoch jemals anwenden werden, ist fraglich.
Zudem ist ausgerechnet die Zusage der beiden Parteien, „bis 2050 in ihrer gesamten Volkswirtschaft Klimaneutralität zu erreichen“, von diesem Durchsetzungsmechanismus ausgenommen. Zumindest rhetorisch hat die EU ihr Arsenal an Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen Klimaschutzmaßnahmen erweitert, es bleibt abzuwarten, wie sie damit in der Praxis und bei zukünftigen Handelsabkommen umgehen wird.
Politischer Abschluss des EU-China Investitionsabkommens
Ebenfalls Ende letzten Jahres wurde überraschend das Investitionsschutzabkommen der EU mit China politisch abgeschlossen, Bundeskanzlerin Merkel verkündete die Neuigkeit in einer Videokonferenz. „Merkel schiebt EU-China-Investitionsabkommen trotz Kritik über die Ziellinie” schrieb dazu der Fachinformationsdienst Politico und fuhr fort: „Für Kritiker ist es ein überstürztes Abkommen, das zu weich bei den Arbeitsrechten ist. Für Angela Merkel ist es ein strategischer Sieg und das Sahnehäubchen auf der Torte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. EU-Diplomaten und Beamte sagen, dass die deutsche Bundeskanzlerin eine entscheidende Rolle bei der Fertigstellung des lange verzögerten Investitionsabkommens zwischen der EU und China gespielt hat, das mehr als sieben Jahre der Verhandlungen in Anspruch genommen hat.” Der französische Handelsminister Franck Riester hatte noch kurz vor Weihnachten Frankreichs Widerstand gegen das Abkommen angekündigt; doch Präsident Macron konnte offenbar durch die vagen Versprechungen der chinesischen Regierung überzeugt werden, von den vier ausstehenden ILO-Kernarbeitsnormen zumindest die beiden, die Zwangsarbeit regeln, zu ratifizieren.
Der Deal bringt den europäischen Konzernen, allen voran der Automobilbranche und dem Chemiesektor, einen verbesserten Marktzugang und mehr Sicherheit für Investitionen. Der politische Abschluss erfolgt in einer Zeit der Demonstrationen und Verhaftungen in Hongkong, in der immer mehr Informationen über die Zwangsarbeit der Uiguren in den Umerziehungslagern publik wird, in einer Zeit des Macht-Vakuums in Washington, in denen ein Brexit-Deal die Aufmerksamkeit auf sich zieht, und in einer Zeit von Grenzkonflikten und Machtansprüchen Chinas, das der einzige verbliebene Wachstumsmotor der Weltwirtschaft zu sein scheint und inzwischen zum größten Außenhandelspartner der EU vor den USA aufgestiegen ist.
Während die deutschen Wirtschaftsverbände applaudieren, warnte Australien vor seinen schlechten Erfahrungen bei Abkommen mit China, der ehemalige Kommissionspräsident Juncker sprach von einem „billigen Deal” und die neue US-Regierung zeigte sich enttäuscht über den Alleingang der EU. USA, Kanada und Großbritannien erwägen derzeit, Maßnahmen gegen die Einfuhr von Produkten zu ergreifen, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Teile der Europäischen Parlamentes kündigten ihren Widerstand gegen das Abkommen an. In einem Offenen Brief an die Kommission forderten 36 Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen unter anderem, dass der Schutz der Menschenrechte ein wesentlicher Bestandteil des Abkommens werden müsse.
Lieferkettengesetz: ein starker Entwurf?
Nach langem Tauziehen stellten Arbeitsminister Hubertus Heil, Entwicklungsminister Gerd Müller und Wirtschaftsminister Peter Altmaier vergangene Woche einen gemeinsamen Entwurf für ein Lieferkettengesetz vor, das inzwischen Sorgfaltspflichtengesetz genannt werden soll. Es soll noch vor der Bundestagswahl im September verabschiedet werden.
Das geplante Gesetz verpflichtet deutsche Unternehmen, in ihren globalen Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards einzuhalten. Das Bundesamt für Ausfuhr wird kontrollieren, ob Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten nachkommen, und kann bei Verstößen Strafen verhängen.
Aber: Der aktuelle Gesetzentwurf deckt nicht die gesamte Lieferkette ab und beinhaltet keine zivilrechtliche Haftungsregelung, wenn Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten verstoßen. Zudem soll es erst Anfang 2023 und zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in Kraft treten.
Die zivilgesellschaftliche Initiative Lieferkettengesetz zeigt sich daher enttäuscht, dass kein wirkungsvollerer Vorschlag eingebracht wurde, und fordert die Bundestagsabgeordneten zu Nachbesserungen auf: „Durch die fehlende zivilrechtliche Haftung wird Opfern von schweren Menschenrechtsverletzungen ein verbesserter Rechtsschutz vor deutschen Gerichten verwehrt. Und auch die Pflicht zur Einhaltung von Umweltstandards berücksichtigt das Gesetz nur marginal – hier gibt es dringenden Nachbesserungsbedarf“, äußert sie in einem Pressestatement. Auch Greenpeace-Aktive kritisierten den ausgehandelten Entwurf als „Lieferkettengesetzchen“. Mit einer Projektion warfen sie den Schriftzug „Lieferkettengesetz – Schwindel” auf die Außenfassade des Bundeskanzlerinnenamtes in Berlin.
Sowohl Verletzungen von Menschenrechten und Arbeitsstandards als auch Umweltschäden geschehen häufig in Produktionsländern außerhalb der EU. Damit finden sie überwiegend am Anfang von globalen Lieferketten statt: zum Beispiel in Südamerika, wo Wälder durch Brandrodungen zerstört werden, um Platz für die Rinderzucht zu machen.