Neue Konzern-Paralleljustiz für die EU

Die EU plant ein neues Gesetz, das neben dem in bilateralen Handelsverträgen und im Energiecharta-Vertrag enthaltenen Investitionsschutz eine Sonderjustiz für Konzerne vorsieht, die demokratische Prozesse aushebelt. Das beschreibt attac Österreich in einer Mitteilung.

 

Neue Studie deckt massive Lobbying-Kampagne von Banken und Konzernen auf

Die EU-Kommission will im Herbst 2021 einen Vorschlag für mehr Schutz für grenzüberschreitende Investitionen im EU-Binnenmarkt vorlegen, der Elemente einer neuen Konzern-Paralleljustiz zwischen EU-Staaten enthalten könnte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte 2018 ja das alte System der EU-internen Konzern-Sonderklagerechte für unvereinbar mit EU-Recht erklärt. (1)

Nach Attac vorliegenden Informationen der EU-Kommission setzt sich die österreichische Regierung dabei für möglichst weitreichende Konzern-Sonderrechte und einen eigenen exklusiven Gerichtshof für Konzerne ein. Das Magazin Profil berichtet zudem aktuell, dass Wirtschaftsministerin Schramböck dabei auf „rasche Fortschritte“ und einen „ambitionierten Vorschlag“ hoffe.

Österreich hat nach Attac vorliegenden Informationen zudem erst eines von zwölf der alten EU-rechtswidrigen Abkommen gekündigt – offenbar weil österreichische Banken aktuelle Klagen am Laufen haben. (3) 23 EU-Staaten hatten hingegen bereits im Mai 2020 alle entsprechenden Investitionsabkommen untereinander gekündigt.

„Die Regierung zögert das Ende der EU-internen Paralleljustiz hinaus, bis sie einen Ersatz dafür durchgesetzt hat, der die Interessen der Konzerne bestmöglich bedient“, kritisiert Iris Frey von Attac Österreich. „Doch Sonderklagerechte für Konzerne bedrohen eine Politik im Interesse des Gemeinwohls und sind mit der Demokratie unvereinbar. Attac fordert die Regierung daher auf, sich für das Ende jeglicher Konzern-Sonderrechte einzusetzen – sowohl innerhalb der EU als auch weltweit.

Neue Studie: Konzerne wollen eigenes Gericht mit eigenem Recht

Eine neue Studie der Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory (CEO) enthüllt eine zweijährige Lobbykampagne von Banken, Konzernen und Anwaltskanzleien, um neue substantielle Rechte für Investoren und eine exklusive Gerichtsbarkeit in der EU durchzusetzen. „Geht es nach den Konzernen, könnte ein neues exklusives EU-Gericht die EU-Regierungen in Zukunft dazu zwingen, Konzerne mit enormen Summen für neue Gesetze zum Schutz von Arbeitnehmer*innen, Verbraucher*innen und der Umwelt zu entschädigen. Das finanzielle Risiko könnte Regierungen letztendlich davon abhalten, im öffentlichen Interesse zu regulieren“, kritisiert Studienautorin Pia Eberhardt von CEO.

Und tatsächlich beinhaltet ein Diskussionspapier der Kommission vom September 2020besorgniserregende Optionen. Darunter sind sowohl weitreichende materielle Investorenrechte als auch die Schaffung eines speziellen Investitionsgerichts für Konzerne auf EU-Ebene. Die Kommission überlegt zudem neue Konzern-Privilegien zu schaffen, mit denen diese noch früher in die Vorbereitung politischer Entscheidungen eingreifen können.

Großbanken und Großindustrie besonders aktiv / Auch Erste Group und österreichische Wirtschaftskammer drängen auf Sonderrechte

Laut CEO-Studie gab es in den Jahren 2019 und 2020 mindestens ein Dutzend Treffen von Konzernlobbyisten mit der EU-Kommission, in denen sie einen neuen exklusiven Gerichtshof für Konzerne forderten. Auch die Erste Group und die österreichische Wirtschaftskammer (4) drängten im Konsultationsprozess auf Sonderrechte. Besonders aktiv lobbyierten deutsche Großbanken, die Europäische Bankenvereinigung, die deutsche Aktionärslobby oder Konzernlobbygruppen wie BusinessEurope und die französische AFEP. Ihre Botschaft: Investoren hätten ohne Sonderklagerechte in der EU keinen „angemessenen Rechtsschutz“ und könnten daher vermehrt außerhalb der EU investieren.

Keinerlei Hinweise auf Benachteiligung von Investoren in der EU

Für Pia Eberhardt widerspricht diese Erpressungstaktik völlig der Realität: „Es gibt keinerlei Hinweise auf eine systematische Benachteiligung ausländischer Investoren in den EU-Mitgliedsstaaten, die ein eigenes paralleles Justizsystem rechtfertigen würden. Im EU-Binnenmarkt können sich Investoren auf eine lange Liste von Rechten und Schutzmaßnahmen verlassen, darunter das Recht auf Eigentum, Nichtdiskriminierung, auf Anhörung vor einer Behörde sowie auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren.“

Etwaige rechtsstaatliche Defizite in einem Land gelte es grundsätzlich für alle zu verbessern, anstatt neue rechtliche Privilegien für eine kleine Anzahl ohnehin sehr mächtiger und bereits geschützter Konzerne zu schaffen, die den demokratischen Handlungsspielraum einschränken, fordert Attac.

(1) Der EuGH urteilte im Achmea-Urteil am 6. März 2018, dass Schiedsklauseln in Investitionsabkommen innerhalb der EU nicht mit EU-Recht vereinbar sind. Intra-EU Investitionsabkommen (BITs) wurden ursprünglich zumeist zwischen west- und osteuropäischen EU-Staaten nach dem Zerfall der Sowjetunion geschlossen und beim EU-Beitritt dieser Staaten nicht beendet. Die EU-Kommission hatte bereits vor dem Urteil des EuGH die Rechtsansicht vertreten, dass die entsprechenden bilateralen Investitionsabkommen gegen EU-Recht verstoßen und schon 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

(2) Bemerkenswert ist, dass die Regierung Bierlein das entsprechende Beendigungsabkommen mehrerer EU-Staaten am 18. Dezember 2019 genehmigt und die erforderlichen Schritte für die Unterzeichnung in die Wege geleitet hatte.

(3) Aktuell sind vier ISDS-Klagen österreichischer Banken gegen Kroatien bei Schiedsgerichten anhängig. Raiffeisenbank, Erste Bank, Addiko Bank und Bank Austria setzen auf Sonderklagerechte, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie stützen sich dabei auf das österreichische Investitionsabkommen mit Kroatien. Hätte Österreich das multilaterale Beendigungsabkommen am 5. Mai 2020 unterzeichnet, so wären Österreich und Kroatien verpflichtet, den Schiedsgerichten in einer gemeinsamen Erklärung mitzuteilen, dass die im Investitionsabkommen vereinbarte Schiedsklausel nicht anwendbar ist.

Insgesamt basieren 11 der 25 bekannten ISDS-Klagen von österreichischen Konzernen auf EU-internen Investitionsabkommen. Beispielsweise klagte die EVN AG 2013 gegen Bulgarien, weil sie sich bei der Preisfestsetzung für Strom und der Vergütung von erneuerbarer Energie durch den bulgarischen Staat finanziell benachteiligt sah.

(4) Die Wirtschaftskammer dazu: “Lediglich “erzieherische” Maßnahmen gegen Mitgliedsstaaten haben für Investoren keinen Wert. Investoren müssen über ein Recht auf materielle Entschädigung verfügen.“

 

Weltweit nehmen die Klagen von Investoren gegen Staaten in den letzten Jahren rasant zu. Im Dezember 2020 waren mehr als 1100 Fälle bekannt. Etwa 20 Prozent davon wurden auf Basis von intra-EU Investitionsabkommen eingereicht.