Gegen die Abhängigkeit von russischem Erdgas erwägt Wirtschaftsminister Robert Habeck LNG-Terminals in Deutschland zu bauen. Dabei sind selbst bestehende LNG-Terminals in Europa nicht ausgelastet. Und ein klimapolitischer Fortschritt gegenüber russischem Erdgas wären die Entladestationen von Frackinggas auch nicht – im Gegenteil. Zu diesem Schluss kommt das Portal energiezukunft für Erneuerbare Energien und die bürgernahe Energiewende.
Die Aussagen von Bundeswirtschaftsminister Habeck vergangene Woche im Bundestag ließen aufhorchen. In einer Fragestunde an die Bundesregierung erklärte Habeck, man werde sich der Frage nach dem Bau der beiden LNG-Terminals in Brunsbüttel und Stade „jetzt energisch zuwenden“. Wenn man nicht über Russland gehe, so Habeck, müsse man auch verstärkt über den Kauf von LNG, also Flüssigerdgas, sprechen und das setze voraus, dass es eine Infrastruktur gibt.
Der Ukraine-Konflikt schürt die Spannungen zwischen Russland und den NATO-Mitgliedsländern. Deutschland als NATO-Mitglied ist zugleich Hauptabnehmer russischen Erdgases in Europa. 2019 bezog Deutschland 51 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland. Die Inbetriebnahme der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 würde diese Abhängigkeit zementieren. Während eine Prüfung für eine Inbetriebnahme nach deutschem und europäischem Recht durch Bundesnetzagentur und EU-Kommission ohnehin noch aussteht, gilt Nord Stream 2 inzwischen als Druckmittel gegenüber Russland.
Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, würde eine Inbetriebnahme der Pipeline wohl politisch gestoppt werden. Auch wenn Russland seine Exportstrukturen inzwischen vermehrt nach Asien ausbaut, strömten noch 2020 etwa drei Viertel des russischen Gases nach Europa. Und Gas ist eines der wichtigsten Exportgüter Russlands und sorgt für etwa 9,5 Prozent der jährlichen Exporterlöse. Auch müsste Russland mit einer Nicht-Inbetriebnahme von Nord Stream 2, Gas weiter über die Transitländer Polen und Ukraine liefern, was deutlich teurer ist.
Um den noch nötigen Gas-Bedarf in Deutschland zu decken, sieht inzwischen auch der Grünen-Politiker Habeck LNG-Terminals als Alternative. Doch die Kritik an diesem Vorgehen ist deutlich. „Weder klimapolitisch noch ökonomisch und selbst geopolitisch würden LNG-Terminals in Deutschland nichts bewirken“, sagt Andy Gheorghiu, der sich seit vielen Jahren gegen Fracking und Erdgas und dem Bau der dafür benötigten Infrastruktur einsetzt. Flüssigerdgas, auf Englisch Liquefied Natural Gas – kurz LNG, wird vor allem in den USA mittels der Fracking-Methode, dem Aufbrechen von Gesteinsschichten, gewonnen und für den Weitertransport verflüssigt.
Verheerende Klimabilanz
Gheorghiu verweist im Gespräch mit der energiezukunft auf eine Studie aus Irland, wonach die Verwendung von LNG aus den USA 40 Prozent mehr CO2-Emissionen zur Folge hat als Energie aus Kohle. „Erdgasförderung, Verflüssigung und Transport haben zusammen eine schlechtere Klimabilanz als Kohle“, so Gheorghiu. Und an den geplanten LNG-Terminals in Brunsbüttel und Stade soll vor allem Flüssigerdgas aus den USA anlanden. Das lassen zumindest die Pläne der alten Bundesregierung vermuten.
So änderte der bisherige Wirtschaftsminister Peter Altmaier im Nachgang einer deutsch-amerikanischen LNG Lobby-Konferenz bestehende Rechtsrahmen, um Planung und Bau der Terminals voranzutreiben. Die Kosten für den Leitungsbau sollten über die Gasnetzentgelte und damit über die Nutzer:innen refinanziert werden. In der Folge bot der alte Finanzminister und jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz den USA sogar an, den Import US-amerikanischen Flüssigerdgases mit einer Milliarde Euro aus deutschen Steuermitteln zu fördern. Im Gegenzug sollten die USA auf Sanktionen gegen die Fertigstellung der Nord Stream 2-Pipeline verzichten.
Stranded Assets
Das Vorprechen von Altmaier und Scholz in der Vergangenheit zeigt ebenso deutlich: trotz potenter privater Investoren, erscheint eine Umsetzung der Projekte ohne die öffentliche Hand unmöglich. Das hat auch Habeck erkannt, der in der Fragestunde im Bundestag vergangene Woche erklärte, dass Brunsbüttel und Stade bislang „nicht privat finanzierbar“ seien. Die niederländische Investmentgesellschaft Vopak LNG Holding etwa hatte im November 2021 erklärt, dass man Abstand von der aktiven Beteiligung an dem geplanten LNG-Terminal in Brunsbüttel nehmen werde. Die Beteiligung habe bislang zu einem Verlust von 11,1 Millionen Euro geführt. Zur etwa gleichen Zeit verkündete der Energiekonzern Uniper, dass in Wilhelmshaven vorerst kein Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG) gebaut werde. Man überlege nun den Standort als Importhafen für Wasserstoff zu nutzen.
Damit sich ein LNG-Terminal rentiert, müsse man mit einer Laufzeit von 30 bis 40 Jahren rechnen, sagt Gheorghiu. „Hierbei überschreiten wir die Grenze dessen in der wir klimaneutral sein wollen.“ Gheorghiu warnt zudem vor Schadensersatzansprüchen seitens der Investoren, wenn diese LNG-Terminals klimapolitisch doch früher geschlossen werden. „Bei den positiven politischen Signalen für den Bau der Terminals, planen Investoren die volle ökonomische Lebensspanne ein. Doch bei einem früheren Aus bleiben die Profite aus. Schadensersatzforderungen, wie beim Kohle- und Atomausstieg wären die Folge“, so Gheorghiu.
Profiteur ausgerechnet Russland?
Profitieren könnte hingegen von Beginn an genau das Land, dem die Bundesregierung mit den LNG-Terminals etwas entgegensetzen will. Denn Russland ist auch einer der Top 3 LNG-Exporteure weltweit, neben den USA und Katar. Der bisherige niederländische Investor von Brunsbüttel etwa, betreibt ebenfalls ein Flüssigerdgas-Terminal in Rotterdam und konnte die dortige Auslastung nur deswegen deutlich steigern, weil man vermehrt LNG aus Russland bezog. Wo das LNG für deutsche Terminals herkomme, werde marktgetrieben sein, sagte Habeck in der Fragestunde im Bundestag. „Man sollte da einkaufen, wo das LNG am günstigsten ist.“ Das könnte in Zukunft auch über den deutlich kürzeren Seeweg aus Russland der Fall sein, gegenüber der langen Anfahrt über den Atlantik aus den USA.
Das Beispiel von Rotterdam ist zudem kein Einzelfall, wenn es um eine fehlende Vollauslastung geht. Eine Anfang dieser Woche veröffentlichte Analyse der NGO Food & Water Action Europe zeigt, dass LNG-Terminals in der Europäischen Union und Großbritannien im vergangenen Jahr im Durchschnitt nur eine Auslastung von 40 Prozent hatten. Dabei konnte die Auslastung der Terminals in den letzten Jahren sogar gesteigert werden.
Das Rotterdam Gate etwa hatte vor vier Jahren noch eine sehr geringe Auslastung von 4 Prozent und konnte diese im letzten Jahr, auch mit russischem Gas, auf immerhin 50 Prozent steigern. Nur zwei der insgesamt 21 analysierten LNG-Terminals kamen auf eine hohe Auslastung von 85 und 92 Prozent. Zehn der Terminals hatten eine Auslastung von unter 30 Prozent zu verzeichnen. Auch ohne neue LNG-Terminals in Deutschland, ebenso wie in Polen und Zypern, könnte in Europa ein möglicher steigender Bedarf gedeckt werden. Und Deutschland könnte im Rahmen des EU-Binnenmarktes zusätzliches Flüssigerdgas aus Belgien oder der Niederlande beziehen.
Laut einer Analyse des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sind sowohl die LNG-Terminals als auch die Nord Stream 2-Pipeline energiewirtschaftlich nicht notwendig. Beim künftigen Gasbedarf hat sich die Politik in der Vergangenheit zudem auf Zahlen der Gasbranche selbst gestützt. In einem offenen Brief fordern Andy Gheorgiu, die Deutsche Umwelthilfe, der BUND, die Bürgerinitiative gegen CO2-Endlager und weitere eine konsequente Umsetzung der geplanten Energiewende, vor allem im Ausbau der Erneuerbaren und in der Reduktion der Energieverbräuche. Ein Neubau von LNG-Importterminals in Deutschland dagegen würde kurzfristig an der Abhängigkeit von Russland nichts ändern – andererseits aber die Pfadabhängigkeit in fossile Energien erhöhen, so die Verfasser:innen. Manuel Först