Energiecharta – der schmutzige Vertrag

So gut wie niemand kennt den Energiecharta-Vertrag (ECT). Dabei müsste das internationale Abkommen ganz oben auf allen Tagesordnungen stehen – weil es so effektiv wie keine andere Vereinbarung zahllose Maßnahmen zum Klimaschutz torpediert. Denn es ermöglicht, dass Staaten, die aus der fossilen oder atomaren Energiegewinnung aussteigen wollen, mit Millionen- oder gar Milliardenklagen überzogen werden. Davon profitieren ausschließlich Großkonzerne und deren Anwaltskanzleien.

Es war ein vernünftiger Schritt, zu dem sich die niederländische Regierung 2019 durchrang: Um ihre internationalen Klimaverpflichtungen einzuhalten, beschloss das Kabinett, bis zum Jahre 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Doch kaum war der Beschluss gefasst, meldeten sich die deutschen Kohlekonzerne RWE und Uniper, die in den Niederlanden zwei (RWE) beziehungsweise vier (Uniper) Kohlekraftwerke betreiben. Sollte der niederländische Staat tatsächlich ihre Energiegewinnung aus Kohle stoppen und nicht freiwillig hohe Entschädigungen zahlen, werde man ihn verklagen. Die Regierung blieb hart, die angebotenen Millionenentschädigungen genügten den beiden Konzernen nicht – und so reichten Uniper und RWE im Frühjahr 2021 jeweils eine Klage gegen die Niederlande ein und verlangen insgesamt etwa 2,4 Milliarden Euro Entschädigung für den Kohleausstieg.

Ihr Vorgehen klingt zwar vermessen, ist aber kein Einzelfall und entbehrt auch nicht jeder Grundlage. Denn seit im Dezember 1994 rund fünfzig Staaten (darunter alle damaligen EU-Mitgliedsländer, sämtliche Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die Länder Mittel- und Osteuropas sowie Japan und Australien) den Energy Charta Treaty (Energiecharta-Vertrag ETC) unterzeichneten, sind solche Klagen rechtens – und nehmen zu.

Die Idee des ETC war, den Ausbau von Investitionen im Energiebereich zu sichern. Dazu gehören insbesondere die industrielle Förderung (Produktion), die chemische Weiterverarbeitung, der Verkauf, der Transport und die Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Öl, Gas, ebenso die Produktion von Atomstrom. Aber wie sichert man solche Investitionen? Indem man, so das Konzept, den Investor:innen – zumeist Großkozernen und deren Finanziers – das Recht einräumt, Staaten, Regionen und sogar Kommunen auf Schadensersatz zu verklagen, wenn diese ihr Eigentum und ihren Anspruch auf Profitmaximierung gefährden.

Neu war diese Art des Investor:innen-Schutzes übrigens nicht: Er ist auch in vielen Freihandelsverträgen enthalten (das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel hat auf seiner Website viele Beispiele für ähnliche Klagen aufgeführt), aber darüber mehr in einem der nächsten Klimacamp-Blogs. Auch das Vorgehen gleicht dem in anderen internationalen Verträgen: Sieht sich ein Konzern nicht „fair und gerecht“ behandelt, klagt er vor einem internationalen Schiedsgericht, meistens vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) bei der Weltbank in Washington. Dort entscheiden dann drei private Anwälte in einer geheimen Verhandlung, ob die Klage berechtigt ist (oder nicht) und verhängen je nach Gutdünken hohe Strafen. Mit rechtsstaatlichen Prozessen haben diese Verfahren nicht zu tun. Wie diese Tribunale funktionieren und welche Folgen sie für den Klimaschutz haben, zeigt dieser Bericht des ZDF-Magazins Frontal21 mit dem Titel „Schiedsgerichte gegen Klimaschutz“ (Abbildung anklicken!):

Der ZDF-Beitrag stammt zwar vom September 2020, ist aber (leider) weithin aktuell. Er schildert beispielsweise, wie der schwedische Energiekonzern Vattenfall gleich zwei Mal gegen Entscheidungen demokratisch gewählter Gremien vorging. Einmal, als der Hamburger Senat 2009 beim Bau des Kohlekraftwerks Moorburg an der Elbe Naturschutzauflagen erließ, die dem Unternehmen nicht passten: Es drohte mit einer Klage auf Basis des Energiecharta-Vertrags; der rot-grüne Senat krebste zurück.

Und ein zweites Mal, als die Bundesrepublik nach Fukushima 2011 den Atomausstieg beschloss und Vattenfall seine beiden (ohnehin schon schrottreifen) Meiler in Krümmel und Brunsbüttelstilllegen musste. Der schwedische Staatskonzern verklagte daraufhin den deutschen Staat und forderte einen Schadenersatz in Höhe von 4,6 Milliarden Euro, plus Zinsen. Nach langen Verhandlungen vor einem Washingtoner Schiedsgericht akzeptierte die Bundesregierung einen Vergleich – und zahlte 1,4 Milliarden Euro. Damit erhielt Vattenfall weitaus mehr Geld  als die deutschen AKW-Konzerne, die ebenfalls geklagt hatten – aber vor einem deutschen Gericht auf Basis einer ordentlichen Rechtssprechung.

Fossile Profiteure

Aber auch deutsche Unternehmen klagen, wie das Beispiel Uniper/RWE gegen die Niederlande zeigt. Oder wie in Klagen gegen Spanien klar wurde: Dort hatte nämlich die durch die Finanzkrise 2007/08 schwer angeschlagene Madrider Regierung 2011 ihre zunächst in Aussicht gestellten Subventionen für erneuerbare Energien reduziert. Daraufhin reichten Investor:innen insgesamt 47 Klagen auf Basis des ECT ein, die noch nicht alle verhandelt wurden. Aber in 18 Fällen haben ICSID-Schiedsgerichte Spanien zur Zahlung von insgesamt 958 Millionen Euro verurteilt. Geklagt hatten übrigens weniger die Energiefirmen, die die Windräder und Solaranlagen bauten, sondern Finanzinvestor:innen, die auf hohe Gewinne spekuliert hatten. Viele dieser Banken und Aktienfonds verfügen – nebenbei gesagt – über gute Verbindungen zur Kohle-, Öl-, Gas- und Atomindustrie und manche investierten erst, als sich Spanien bereits in einer tiefen Wirtschaftskrise befand und bereits einige Änderungen an den Förderprogrammen vorgenommen worden waren (die, wie die Fonds später behaupteten, ihre Gewinnerwartungen schwächten).

Etliche Investor:innen betrachten den ECT also nicht nur als Mittel zur Absicherung ihrer Anlagen, sondern als zusätzliche Einnahmequelle. Das zeigte sich auch bei der Klage des britischen Öl- und Gaskonzerns Rockhopper, der Italien 2017 mit Hilfe des ECT verklagte, da die italienische Regierung sich weigerte, Ölbohrungen im Ombrina-Mare-Feld in der Adria zu genehmigen, nachdem das Parlament in Rom 2016 neue Öl- und Gasförderungen in Küstennähe aus Sorge um die Umwelt und unter dem Druck der Bevölkerung verboten hatte. Nun fordert Rockhopper eine Entschädigung von bis zu 300 Millionen US-Dollar. Darin enthalten sind auch die Summen, die der Konzern mit dem Ölfeld hätte verdienen können, wenn ihm das nicht verboten worden wäre.

Die Angst der Politik vor Klagen

Die Folgen des ETC sind immens, und das nicht nur geldmäßig. Schon heute überlegen sich Regierungen, ob sie sich angesichts möglicher Klagen einen Ausstieg aus der Nutzung von fossilen Energien überhaupt leisten können. So ist der Braunkohleausstieg (inzwischen bis 2030 versprochen) für die Steuerzahler:innen auch deshalb so teuer, weil die Regierung den ausländischen Eigentümer:innen des Tagebaus Milliarden zugesichert hat, damit sie nicht klagen. Angst erfasste auch die französische Politik: 2017 drohte das kanadische Unternehmen Vermilion mit einer Millionenklage, sollte die französische Regierung ein Gesetz verabschieden, das die Förderung fossiler Brennstoffe rasch beendet hätte. Die Regierung ließ sich einschüchtern – und schwächte das Vorhaben deutlich ab.

In einem nächsten Klimacamp-Blogs wird dargelegt, wie über eine Reform des ECT beraten wird, welche Position die Bundesregierung vertritt und welche katastrophalen Folgen andere (Frei-)Handelsverträge der EU haben.

PS: Viele weitere Informationen zum Energiecharta-Vertrag sind übrigens hier zu finden: https://energy-charter-dirty-secrets.org/de/


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Klimacamp-Blog des regionalen Online-Magazins seemoz.de