Wie bereits berichtet, hält das Bundesverfassungsgericht die Anwendung des EU-Kanada-Handelsabkommens CETA für zulässig. Diesen Beschluss hat das Karlsruher Gericht am Dienstag verkündet. Welche Schlussfolgerungen sind nun zu ziehen? Dazu ein Bericht und ein Kommentar der Tageszeitung Junge Welt.
Nach mehr als fünfeinhalb Jahren Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht mehrere Klagen gegen das Handelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada zurückgewiesen. Der Beschluss zur vorläufigen Anwendung des Abkommens sei nicht zu beanstanden, teilten die Karlsruher Richter am Dienstag mit. Die EU habe ihre Kompetenzen mit dem Ratsbeschluss nicht überschritten. Für unzulässig befanden die Richter Beschwerden gegen den CETA-Abschluss des EU-Rats und gegen das deutsche Zustimmungsgesetz. Beides stehe noch aus, hieß es zur Begründung.
Kritiker des Abkommens hatten ab 2015 breiten Widerstand mobilisiert: Der »Bürgerklage« des Aktionsbündnisses »Nein zu CETA« schlossen sich über 125.000 Unterstützer an. Die Kläger befürchten, dass CETA politische Mitwirkungsrechte beschneidet. Umwelt- und Verbraucherschutz würden dem Handel untergeordnet.
Dennoch erlaubten die Verfassungsrichter der Bundesregierung im Herbst 2016, der vorläufigen Anwendung zuzustimmen, CETA trat so im September 2017 in Kraft. Einige Teilbereiche des Abkommens liegen allerdings auf Eis, bis die Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten sowie Kanada und die EU den Pakt vollends ratifiziert haben. In der EU fehlen noch zwölf Staaten, darunter die BRD, die eine Entscheidung aus Karlsruhe abwarten wollte. Die ist nun getroffen. Am Freitag wird der Bundestag über einen Antrag der Unionsfraktion beraten, der die umgehende Ratifizierung fordert. Spannend wird die Reaktion der Ampelregierung. Die Grünen hatten sich in ihrem Wahlprogramm darauf festgelegt, CETA in seiner jetzigen Fassung nicht zu ratifizieren.
Käme es jetzt doch dazu, »wäre das ein großer Skandal«, erklärte Lia Polotzek, Expertin für Wirtschaft und Finanzen beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, am Dienstag gegenüber jW. Das Abkommen würde ermöglichen, dass EU-Staaten von umweltschädlichen Konzernen vor einer Paralleljustiz verklagt werden. »Das könnte die öffentlichen Haushalte mit Milliardensummen belasten, die dann für die Finanzierung von Umwelt- und Klimaschutz fehlen würden«, so Polotzek.
Text: Raphaël Schmeller
Und der Kommentar:
Als das Bundesverfassungsgericht am Dienstag sämtliche offenen Klagen gegen das EU-Kanada-Handelsabkommen CETA abschmetterte, hielt sich die öffentliche Aufregung in Grenzen. Fünfeinhalb Jahre höchstrichterliche Bedenkzeit haben gereicht, die öffentliche Aufregung erst mal verpuffen zu lassen. Das Vertragswerk ist komplex. Heute fällt es schwer sich zu erinnern, worüber man sich 2015/16 so aufgeregt hat.
Die Profiteure des Deregulierungs- und Privatisierungsvertrags konnten die Langsamkeit der Justiz verschmerzen, schließlich traten große Teile des Abkommens bereits 2017 »vorläufig« in Kraft. Seither können Konzerne, die Handel zwischen der EU und Kanada treiben, sich im Prinzip aussuchen, welche Standards sie anwenden. Zölle und andere sogenannte Handelshemmnisse werden abgeschmolzen, Kommunen werden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge beschränkt, weil nur der Preis zählen darf und kanadische Wettbewerber stets Zugriff erhalten müssen.
Trotzdem ist die politische Auseinandersetzung längst nicht gelaufen, auch nicht nach den wenig überraschenden Urteilen aus Karlsruhe. Denn der kraftvolle Widerstand gegen CETA sowie das gescheiterte EU-USA-Abkommen TTIP hat bewirkt, dass bislang nur jene Teile vorzeitig umgesetzt werden können, die in ausschließliche EU-Zuständigkeit fallen. Für den Rest hat Karlsruhe nun grünes Licht gegeben – ratifiziert werden muss der Vertrag trotzdem.
Zu jenem Teil, der bislang auf Eis liegt, gehört insbesondere die Paralleljustiz, durch die Investoren exklusive Klagerechte gegen Staaten eingeräumt bekommen sollen, um gegen profitschmälernde Gesetze vorzugehen. Dass die Verfassungsrichter hier »deutliche Zweifel« anmeldeten, geschenkt. Das machen sie öfter, hinterher kommt selten mehr raus als ein paar Informationspflichten gegenüber dem Bundestag oder ähnlich Folgenloses. Auch dass mit den Grünen nun CETA-Kritiker der ersten Stunde an der Regierung sind, ist kein Grund zur Hoffnung. Die kippen immer um, wenn es darauf ankommt.
Allerdings haben schon 2015/16 vor allem offen antidemokratische Vertragsbestandteile wie die Investorengerichte und intransparente Deregulierungsgremien öffentliche Empörung in großen Teilen der Bevölkerung ausgelöst. Genau diese Vertragsbestandteile müssen die Bundesregierung sowie die Regierungen elf weiterer EU-Staaten jetzt durch die Parlamente bringen. Das geht nicht im Hinterzimmer. Nun muss sich zeigen, wie die Ampelkoalition diese unpopuläre Aufgabe angeht.