Im Konstanzer Klimacamp ist seit zwei Wochen eine Openair-Plakatausstellung zu sehen, die sich mit dem Klimawandel – und noch viel mehr – beschäftigt. Erstellt hat sie das Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel. Aber was hat die Handelspolitik mit dem Klima zu tun?
Vor kurzem lehnte sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weit aus dem Fenster. In einer „Ansage an den eigenen Laden“ forderte er bei einer Podiumsdiskussion Ende April in Zürich die sofortige Ratifizierung des EU-Kanada-Handelsabkommens CETA. Damit stellt sich der wirtschaftsnahe Politiker gegen die eigene Basis, die das Abkommen weiterhin kritisch sieht. „Wenn wir nicht einmal mit Kanada ein Freihandelsabkommen machen dürfen, mit wem dann?“, sagte er laut Pressemitteilungen mit Blick auf den Ukraine-Krieg. Aber ist das CETA-Abkommen tatsächlich so harmlos, wie der Grüne glauben machen will?
Seit das „Comprehensive Economic Trade Agreement“ CETA zwischen Kanada und der für Handelsfragen zuständigen EU-Kommission vereinbart wurde, reißt die Kritik an dem Vorhaben nicht ab: Im Oktober 2015 demonstrierten in Berlin rund 250.000 Menschen gegen CETA und das damals noch aktuelle transatlantische Handelsabkommen TTIP mit den USA. Im September 2016 waren insgesamt etwa 350.000 auf sieben Regionaldemos (darunter in Stuttgart) gegen CETA unterwegs. Danach kam es immer wieder zu Kundgebungen, zu Mahnwachen, zu Protestaktionen – beispielsweise beim Parteitag der baden-württembergischen Grünen in Konstanz (Oktober 2018).
Mehr Macht den Konzernen?
Die Kritik am CETA-Abkommen umfasst eine ganze Reihe zentraler Punkte:
1. Wie viele andere (geplanten) Handelsverträge der EU hat auch CETA das Ziel, sogenannte Handelshemmnisse zu beseitigen. Als „Hemmnisse“ für den geplanten Ausbau des Handels mit Waren und Dienstleistungen gelten unter anderem die Rechte von Beschäftigten und Verbraucher:innen sowie Umwelt- und Klimaschutz. Sie sollen reduziert werden, damit noch mehr Wirtschaftswachstum, noch mehr Güter, noch mehr Profite entstehen.
2. CETA gefährdet die öffentliche Daseinsvorsorge. Das Abkommen sieht eine „Liberalisierung“ von Dienstleistungen vor – beispielsweise im Gesundheits- und Bildungswesen. Zudem verbietet es eine Rückkehr einmal privatisierter Einrichtungen und Unternehmen in die öffentliche Hand..
3. CETA weitet den Handel mit fossiler Energie aus. So hat in den letzten Jahren der Import von kanadischem Rohöl in die EU deutlich zugenommen. Ein Großteil des kanadischen Öls wird jedoch aus Teersandöl gewonnen, für dessen Gewinnung riesige Urwaldflächen abgeholzt und die Rechte der indigenen Bevölkerung beschnitten werden.
4. CETA begünstigt durch größere Freimengen die industriell wirtschaftenden Agrarkonzerne und erlaubt den Import von gentechnisch veränderten Lebensmitteln und Hormonfleisch.
5. CETA kann – an den nationalen und internationalen Parlamenten vorbei – im Rahmen einer „regulatorischen Kooperation“ durch Ausschüsse erweitert werden, in denen vor allem Regierungsmitglieder sitzen, die in der Regel unter dem Einfluss von Konzernlobbys stehen.
6. Ein wesentlicher Bestandteil von CETA sind auch die Sonderrechte von internationalen Konzernen. Diese dürfen im Rahmen eines sogenannten Investitionsschutzes Staaten auf Schadensersatz verklagen, wenn diese Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten, der Verbraucher:innen, der Natur oder des Klimas ergreifen – und die Konzerne ihre Gewinne (oder auch nur Gewinnerwartungen) bedroht sehen. Diese Paralleljustiz (mit ihren mitunter astronomisch hohen Entschädigungszahlungen) ist Teil vieler bilateralen Freihandelsabkommen und auch des Energiecharta-Vertrags und hat erreicht, dass Staaten, Länder und Kommunen etwa beim Umweltschutz sehr viel vorsichtiger agieren, um keine Strafen zu riskieren.
Teilweise in Kraft – aber nicht ganz
Trotz aller Kritik, die von vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen – darunter sämtliche Umweltverbände, dem Richterbund, Gewerkschaften und dem Deutschen Kulturrat – vorgebracht wurde, unterzeichneten die EU und Kanada das klimaschädlich und demokratiefeindliche Abkommen. Und setzten es im Herbst 2017 in Kraft. Allerdings nur vorläufig und auch nicht vollständig. Denn dem Investitionsschutz (siehe Punkt 6 oben) müssen alle nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten zustimmen, da dieser in die nationale Gesetzgebung eingreift. Bisher haben jedoch nur zwei Drittel aller Parlamente das Vertragswerk abgesegnet. Die Unterschriften von Deutschland, Frankreich, Italien, Irland, der Niederlande und anderer EU-Staaten fehlen noch.
In Deutschland haben sich vor allem die Partei Die Linke und Teile der Grünen gegen eins Ratifizierung ausgesprochen – und auch andere Parteien blieben vorsichtig. Der Grund: Lange Zeit warteten die Politiker:innen auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das über eine Klage von Mehr Demokratie, foodwatch und Campact zu richten hatte. Anfang März lieferte nun das höchste deutsche Gericht sein Urteil. Es wies die Klage ab, fügte aber in seiner Begründung hinzu, dass man gerne wieder Einspruch einlegen könne, sobald Bundestag und Bundesrat entschieden haben.
Und so drängen jetzt FDP, CDU und auch der wachsende CETA-freundliche Teil der Grünen (siehe Crashman Kretschmann) auf eine baldige Abstimmung.
Immer mehr? Immer schneller? Immer dümmer?
Die Openair-Plakatausstellung beim Klimacamp zeigt die Hintergründe und Folgen des (im Geheimen ausgehandelten) CETA-Abkommens und beleuchtet die katastrophalen klimatischen Auswirkungen des geplanten Handelsdeals mit den vier südamerikanischen Mercodur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Sie beschreibt das Agieren privater Schiedsgerichte bei Investitionsstreitigkeiten und erläutert die Gefahren für die öffentlichen Einrichtungen. Sie erinnert an die fatale Fixierung auf permanenten Wirtschaftswachstum, schildert die Folgen der Globalisierung für die Menschen im globalen Süden und analysiert die Folgen der EU-Handelspolitik für die Demokratie.
Die Infotafeln werden bei gutem Wetter morgens auf- und abends wieder abgebaut.
Text und Fotos: Pit Wuhrer
Dieser Beitrag erschien auch im regionalen Online-Magazin seemoz.