Bei seinem Besuch in Argentinien und Brasilien hat der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz mehrfach hervorgehoben, wie wichtig das von der EU und den südafrikanischen Mercosur-Staaten ausgehandelte Handelsabkommen ist, und dass es schleunigst in Kraft gesetzt werden sollte. Dass der Deal extrem klimaschädlich ist, hat er nicht erwähnt. Und auch nicht, dass mehrere europäische Staaten ihre Zustimmung bislang verweigern. Protest gibt es aber auch von unten, Alternativvorschläge ebenfalls.
Vor kurzem haben die im internationalen Seattle to Brussels Network zusammengeschlossenen Bündnisse, Initiativen und Organisationen eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Titel des Papier: Solidarität, Gleichheit, Kooperation und nachhaltiger Handel: eine Alternative zum EU-Mercosur Abkommen. Zu den Unterzeichner:innen gehört auch unser Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel. Hier der Text:
„Wir sind der festen Überzeugung, dass die MERCOSUR- und EU-Länder ihre Beziehung verbessern und umgestalten müssen. In den letzten drei Jahren haben soziale Bewegungen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften und Bauernverbände auf beiden Seiten des Atlantiks gemeinsam erfolgreich dafür gekämpft, die Ratifizierung des EU-Mercosur-Handelsabkommens zu verhindern. Das vorgeschlagene Abkommen würde in erster Linie Konzerninteressen dienen, während planetare Grenzen und der Schutz von indigenen Völkern, bäuerlichen Familienbetrieben, Arbeitnehmer*innen und Tierschutz missachtet und Deindustrialisierung wie soziale Ungleichheit vorangetrieben werden.
Das ist nichts, was mit ein paar zusätzlichen Instrumenten übertüncht werden kann. Gleichzeitig basieren unsere derzeitigen Wirtschaftsbeziehungen bereits auf einem asymmetrischen Machtverhältnis und ungleichen Handelsbeziehungen, die durch eine Geschichte des Kolonialismus mit verheerenden Auswirkungen auf Menschen, Tiere und den Planeten geprägt sind.
Wir, die unterzeichnenden Organisationen, sind daher der Meinung, dass das EU-Mercosur-Abkommen gestoppt werden muss und es an der Zeit ist, unsere gemeinsame Zukunft auf die Prinzipien von Solidarität, Gleichheit, Kooperation, Nachhaltigkeit und Demokratie zu bauen. Unser Ziel ist nicht eine Steigerung des ungezügelten und unkontrollierten Handels und Profite für einige wenige, sondern ein gutes Leben für alle. Handelspolitik kann uns beim Übergang zu nachhaltigen Gesellschaften und Produktionsmethoden helfen, aber nur, wenn wir sie auf neue Grundsätze stützen. Die Verhandlungen über politische, wirtschaftliche und nachhaltige Handelsbeziehungen zwischen unseren beiden Regionen müssen auf diesen Grundsätzen beruhen.
Solidarität
Unsere zukünftigen Beziehungen dürfen nicht auf Ausbeutung, sondern müssen auf Solidarität beruhen. Deshalb müssen wir die Menschenrechte, die Arbeitnehmer*innen, die indigenen Völker, die bäuerlichen Familienbetriebe und den Tierschutz sowie den Schutz der biologischen Vielfalt und des Klimas in den Mittelpunkt stellen. Diese Rechte müssen universell garantiert werden, ihr Schutz muss Vorrang vor jeglichen Handels- oder Geschäftsinteressen haben und muss im Rahmen der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung und nicht im Rahmen des Handels- und Investitionsrechts durchsetzbar sein. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass transnationale Konzerne von wirtschaftlichen Asymmetrien und ungleichen Rechten profitieren.
Wenn wir unsere Zukunft solidarisch gestalten wollen, bedeutet das auch, die äußerst ungerechten Beziehungen und die daraus resultierende Geschichte des Kolonialismus und der Ausbeutung anzuerkennen und zu korrigieren. Deshalb müssen wir uns aktiv um die Entkolonialisierung unserer Beziehungen bemühen. Dies beginnt damit, dass wir die historische soziale, ökologische, finanzielle und klimatische Schuld, die Europa gegenüber den Menschen in den Mercosur-Ländern hat, anerkennen und die Verantwortung dafür übernehmen. Wir müssen diese Schulden zurückzahlen, unter anderem durch die öffentliche Finanzierung von gerechten und nachhaltigen Entwicklungsprojekten in den Mercosurländern, sowie im internationalen Handel durch die Gewährung einer umfassenden horizontalen Sonder- und Vorzugsbehandlung für die Mercosur-Länder, Industrien und Produzenten.
Gleichheit
Die Handels- und Investitionspolitik hat bisher dazu beigetragen, die Ungleichheiten zwischen den Regionen und Menschen zu vergrößern und Machtverhältnisse wie Patriarchat, Rassismus und Neokolonialismus zu Gunsten multinationaler Unternehmen und Großgrundbesitzer zu verschieben. Die künftige Zusammenarbeit muss einen anderen Kurs einschlagen und zu mehr Gleichheit beitragen. Dies beginnt mit der Anerkennung indigener Rechte und der Unterstützung indigener und ländlicher Gemeinschaften, einschließlich der afroamerikanischen Quilombolas, landloser und kleinbäuerlicher Familienbetriebe sowohl in Europa als auch im Mercosur. Dazu zählen besonders die Flussgemeinschaften (Ribeirinhos) und die Kleinfischerei, um ihr Land und ihre Kultur zu erhalten und den Handel mit Produkten zu vermeiden, die diese bedrohen könnten.
Gleichheit bedeutet auch, Wirtschaftsmodelle zu überwinden, die auf der Ausbeutung von unbezahlter und unterbezahlter Reproduktionsarbeit auf beiden Seiten des Atlantiks sowie der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt durch transnationale Unternehmen, beruhen. Stattdessen sollte die künftige Zusammenarbeit öffentliche und gemeinschaftliche Ansätze für den Care Sektor fördern. Daher müssen Pflegearbeit und öffentliche Dienstleistungen vom Staat als Menschenrecht auf profitbefreiter Basis bereitgestellt, lokal verankert sein und international respektiert werden.
Kooperation
Kooperation statt Wettbewerb sollte das Prinzip sein, auf dem wir unsere Beziehungen gründen. Nur große Unternehmen gewinnen, wenn man Arbeiter*innen und Bäuer*innen gegeneinander ausspielt.
Die EU und Mercosur sollten in der Lage sein, Kleinbäuer*innen und Familienbetriebe vor unlauterem Wettbewerb zu schützen, und die Mercosurländer sollte in der Lage sein, einheimische Industrien zu schützen, die qualitativ hochwertige Arbeitsplätze bieten.
Kooperation bedeutet, dass wir nicht versuchen sollten, mehr Handel zwischen unseren Gesellschaften als Ziel zu setzen, sondern in erster Linie die Handelspartnerschaften für Produkte verbessern sollten, die nachhaltig produziert werden und auf der anderen Seite nicht leicht erhältlich sind.
Die künftige Zusammenarbeit muss den bevorzugten Transfer von Technologie und Wissen einschließen, frei von durch Unternehmen kontrollierten Rechten an geistigem Eigentum, um den notwendigen sozialen und technologischen Wandel unserer Volkswirtschaften durch gegenseitiges Lernen zu unterstützen.
Nachhaltigkeit
Die künftige Zusammenarbeit muss zum Übergang zu nachhaltigen Gesellschaften und Produktionsmethoden beitragen, auf den Grundsätzen der Ernährungssouveränität, der Agrarökologie und der Sorgfalt beruhen und die Gegenseitigkeit bei den Qualitätsstandards in allen Bereichen gewährleisten, sobald die EU Entkolonialisierungsmaßnahmen ergriffen hat und die Sonder- und Vorzugsbehandlung in Kraft getreten ist.
Nachhaltigkeit ist nichts, was man am Ende eines Abkommens in einem separaten, nicht durchsetzbaren Kapitel hinzufügt, sondern ein grundlegendes Querschnittsthema. Daher sollten wir darauf hinarbeiten, dass nur Produkte gehandelt werden, die für den Planeten, die Tiere und die Menschen nicht schädlich sind. Das bedeutet, dass wir den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Monokulturen wie Soja und Zuckerrohr sowie aus der Massentierhaltung, die die Abholzung der Wälder, den Verlust der biologischen Vielfalt und die Ausbreitung von Zoonosen begünstigt, einstellen müssen. Stattdessen sollten wir mit nachhaltigen Produkten handeln und wenn möglich lokale und einheimische Erzeugnisse bevorzugen. Das bedeutet auch, dass wir die Ausfuhr schädlicher und gefährlicher Produkte wie z. B. verbotener Pestizide aus Europa stoppen müssen. Nachhaltiger Handel bedeutet auch, die verkehrsbedingten Emissionen zu reduzieren. Unsere Beziehungen können nicht auf der Gewinnung von Ressourcen mit niedriger Wertschöpfung zum Nutzen der europäischen Wirtschaft beruhen. Die Menschen im Mercosur müssen das Recht haben, sich gegen schädliche Abbaupraktiken auszusprechen und einen fairen Preis für ihre Ressourcen zu verlangen. Unsere Handelsbeziehungen müssen sich auf nachhaltige Produktionsmethoden und auf Produkte konzentrieren, die weder in der EU noch im Mercosur erhältlich sind.
Demokratie
Schließlich können die Beziehungen zwischen den Völkern des Mercosur und der EU nicht hinter verschlossenen Türen entschieden werden. Jede künftige Zusammenarbeit muss auf den genannten Grundsätzen beruhen und auf demokratische, partizipatorische und transparente Weise erfolgen. Ein solcher Prozess muss die am meisten betroffenen Menschen in den Mittelpunkt stellen. Indigene Völker, Klein- und Familienbäuer*innen, Frauen und Männer, Arbeitnehmer*innen und die Zivilgesellschaft müssen einen solchen Prozess anführen, um zu gewährleisten, dass ihre Interessen und die planetarischen Grenzen respektiert werden. Die Rechte der indigenen Völker, der Bäuer*innen, der Arbeiter*innen und der Frauen müssen geachtet werden, und die Menschen in beiden Regionen müssen das Recht haben, NEIN zu jedem Abkommen zu sagen, das nicht ihren legitimen Interessen und ihren Bestrebungen nach demokratischen, nachhaltigen und gerechten Gesellschaften dient.
Darüber hinaus muss jede künftige Zusammenarbeit den größtmöglichen politischen Spielraum für die Regierungen sichern, damit sie ihre Aufgaben im öffentlichen Interesse als Voraussetzung für Demokratie erfüllen können, und es sollten keine Handels- und Investitionsmaßnahmen erlassen werden, die diesen politischen Spielraum gefährden. Unsere gemeinsame Zukunft hängt von robusteren Demokratien und der Macht des Volkes ab, und nicht von der Stärkung und weiteren Verankerung von Einzelinteressen und der Macht von Unternehmen.“