Warum jetzt diese Freihandelsabkommen?
Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb jetzt – in diesen ohnehin turbulenten Zeiten – Handelsabkommen wie TTIP, CETA und TiSA lanciert wurden.
a) Von multi- zu bilateral
1. In den vergangenen Jahren sind alle Ansätze gescheitert, Handelsabkommen auf multilateraler Ebene abzuschließen, die alle Staaten einbeziehen. Deshalb setzen die reichen Staaten zunehmend auf bilaterale Vereinbarungen zwischen einzelnen Ländern und Ländergruppen.
So kommt beispielsweise die 2001 in Katar begonnene Doha-Runde kaum voran. Diese Verhandlungsrunde hätte dem globalen Handel im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO neue Regeln setzen sollen. Doch schon in Seattle (1999) waren die Liberalisierungsverhandlungen zum Stillstand gekommen. Die reichen Staaten des Nordens, die glaubten, die Länder des Südens einfach übervorteilen zu können, stiessen auf den Widerstand der großen Schwellenländer, die sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Diese weigerten sich, das Diktat zu akzeptieren – und erhoben ihrerseits Forderungen. Indien zum Beispiel, das die südliche Halbkugel mit billigen Arzneimitteln versorgt, widersetzte sich beispielsweise den geplanten patentrechtlichen Einschränkungen bei Produktion und Vertrieb von Generika. Seither stecken die Verhandlungen fest – jedenfalls aus westlicher Sicht.
Schon zuvor war das Multilaterale Investitionsabkommen MAI gescheitert, das zunächst für die Staaten der Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) gelten sollte, der die reichsten 30 Staaten angehören. Die Verhandlungen hatten 1995 im Geheimen begonnen, und sahen weitreichende Zugeständnisse an InvestorInnen vor: Sie sollten steuerfrei bleiben, ihre Gewinne abgabenfrei transferieren können, im Falle von Protesten und Streiks entschädigt werden, Mindererlöse durch neue staatliche Regelungen geltend machen können. Und in Konfliktfällen sollten autarke Gremien entscheiden, die ihre Urteile nicht begründen müssen.
Das MAI ähnelte also in vielen Punkten dem bei den geplanten Handelsverträgen mit Mexiko und Chile vorgesehenen Investitionsschutz, der auch im CETA-Vertrag der EU mit Kanada enthalten ist. Als die Inhalte bekannt wurden, war der Protest riesig. So groß, dass 450 Vertreter von multinationalen Konzernen im September 1998 Maßnahmen gegen „Aktivistengruppen“ forderten, „die die öffentliche Ordnung, die rechtmäßigen Institutionen und den demokratischen Prozeß untergraben“. Es kam nicht so weit. Das MAI scheiterte Ende 1998, auch am Widerstand von Frankreich.
2. Doch die Multis liessen sich dadurch nicht entmutigen, im Gegenteil. Statt auf ein multilaterales Regelwerk setzen die mächtigen Staaten des Westens nun auf bilaterale Verträge:
► So verhandelt die EU derzeit mit Indien über ein Freihandelsabkommen. Noch wehrt sich Indien. Ob es kommt, hängt auch davon ab, wie sich die anderen Deals entwickeln.
► Und so hält die EU weiterhin an ihren geplanten Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay), mit Mexiko, mit Chile usw. fest.
b) Globale Strategien
Eine große Rolle spielen auch geostrategische Erwägungen. TTIP, TTP, CETA und TiSA stellen einen Versuch dar, die großen Schwellenländer China, Indien, Brasilien, Südafrika und Russland in einer Art Umklammerung zur Übernahme künftiger Regeln zu zwingen.Wenn erst einmal mit TTIP die größte Freihandelszone der Welt steht, bleibt – so das Kalkül – diesen Staaten nichts anderes übrig, als beispielsweise den Investitionsschutz, neue Patentgesetze, Privatisierungsvorschriften und niedrigere Standards hinzunehmen.
Die Süddeutsche Zeitung nannte in diesem Zusammenhang die einst geplante US-EU-Partnerschaft eine „Wirtschafts-NATO„. Und hat damit recht: Früher entsandten die Kolonialmächte Kriegsschiffe, wenn ihnen der Marktzugang verwehrt wurde (siehe den Opium-Krieg in China). Heute sehen die Drohungen weniger martialisch aus, weil sie von Zivilen vorgetragen werden. Sie sind aber ähnlich verheerend.
Aber kann die von den USA forcierte Eindämmungsstrategie gegen China aufgehen? Wahrscheinlicher ist eine neue Blockkonfrontation, die einer politisch-militärischen Eskalation Vorschub leisten könnte. In diesen Kontext hat beispielsweise die CDU schon 2014 die TTIP-Verhandlungen zwischen der EU und den USA gesetzt: „Das Freihandelsabkommen“, so hieß es in einer Resolution, „muss neben der NATO die zweite Säule der transatlantischen Partnerschaft werden und zügig und zielorientiert weiter verhandelt werden.“ Es kam dann zwar doch nicht so weit, aber die Absicht bleibt.
c) Extragewinne
Den Großkonzernen geht es auch um ein Zusatzgeschäft. Seit 2007/2008 erlebt Europa die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren; eine ganze Reihe von Staaten kämpfen mit den Schulden, die durch die Bankenrettung entstanden sind. Parallel dazu haben viele Firmen mit sinkenden Profitraten und – nach Sicht der Shareholder – mangelnder Rendite zu kämpfen. Die riesigen Vermögen, die dank der zunehmenden Ungleichheit angehäuft werden, wollen verzinst sein.
Um diese Bedürfnisse zu befriedigen, sind alle Mittel recht. Eins der Mittel sind die Prozesse, die internationale Unternehmen auf Basis bisher bestehender Freihandelsverträge gegen Staaten führen können. Die Zahl der vor Privattribunalen geführten Investor-State-Dispute-Settlement-Verfahren (ISDS) wächst beständig. 1996 waren beim ICSID, einem ISDS-Gerichtshof der Weltbank in Washington, 38 Schiedsverfahren registriert. 2013 waren es 568 Klagen. Und es werden immer mehr.
„Im allgemeinen ist heutzutage das Schutzzollsystem konservativ, während das Freihandelssystem zerstörend wirkt. Es zersetzt die bisherigen Nationalitäten und treibt den Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf die Spitze. Mit einem Wort, das System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution. Und nur in diesem revolutionären Sinne, meine Herren, stimme ich für den Freihandel.“ (Karl Marx: „Rede über die Frage des Freihandels“, Januar 1848)